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Soziale Marktwirtschaft: • Bedürfnisbefriedigung

Bedürfnisbefriedigung

Ein Mensch arbeitet nur dann, wenn der Ertrag seiner Arbeit der Befriedigung eines Bedürfnisses dient, dem er eine höhere Bedeutung beimisst als dem Lebensgenuss, den er erfahren würde, wenn er nicht arbeitet.

Es gibt einen persönlichen Punkt der Sättigung und des Verlangens, den jeder Mensch versucht in einen für sich idealen Gleichgewichtszustand zu bringen.

Wenn dieser Punkt bei jedem Menschen anders liegen kann, welchen Sinn macht es dann, „Vollbeschäftigung“ und „Arbeitslosigkeit“ auf Regelarbeitszeiten von beispielsweise 40 Stunden pro Woche zu beziehen? Welche Folgen hat es, wenn ein abhängig Beschäftigter sich entscheiden muss, entweder 40 Stunden zu arbeiten oder gar nicht zu arbeiten?

Die Verwerfungen, die durch das vorherrschende Alles-Oder-Nichts-Prinzip in unserer Arbeitswelt entstehen, sind ein Aspekt von mehreren des zu untersuchenden „Problems“. Wann auch immer in einem System - hier der Steuerung des Mengenangebotes der Arbeit - Dinge zwanghaft geschehen, kann das einzelne Element des Systems sich nicht mehr so verhalten, wie es ihm seine Vernunft gebietet.

Ein Handeln unter Zwang aber führt zu psychopathogenen Reaktionen, zu Kompensationshandlungen und vor allem zu einem Verlust menschlicher Rationalität als solcher, auf deren Existenz - in der Form eines gedachten homo oeconomicus - die Wissenschaft bei ihren Erkenntnisversuchen geradezu paradigmatisch setzt und angewiesen ist.

Der Ursprung dieses Alles-Oder-Nichts-Prinzipes unserer Arbeitswelt ist, soweit es die abhängige Beschäftigung betrifft, nicht in einer Notwendigkeit der Arbeitsorganisation zu finden, sondern hat seine Wurzel in den Ausbeutungsmechanismen der kapitalistischen Klassengesellschaft. Jeder Selbständige arbeitet auch ohne Stechuhr und Kontingentvorgaben. Er arbeitet, weil er die Arbeit als Notwendigkeit zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in dem Maße erkennt, wie noch offene Wünsche vorhanden sind. Manch eines Menschen Wünsche mögen grenzenlos sein. Das ändert aber nichts an dem Prinzip, wonach derjenige, der seine Wünsche materieller Art befriedigen konnte, anderen Wünschen nachgehen wird und sein Angebot hinsichtlich der Erzeugung von Gütern oder Diensten für den Markt reduziert. Und nur darauf kommt es an.

Was machen die meisten Lottomillionäre? Sie kündigen und wollen fortan ihr Leben genießen. Wer mit allem ausgestattet ist und aufgrund persönlicher Sättigung seine Produktivität reduziert, der ist nicht arbeitslos, sondern reich. Er hat den idealsten aller Wohlstandszustände erreicht, hat seine Existenz gesichert und Zeit zum Leben.

Über Jahrtausende hinweg war dies die Normalität der Lebensführung. Nicht dass man früher hätte erreichen können, was uns heute als „Wohlstand“ gilt. Was den Menschen erstrebenswert schien und genügte, lag auf einem völlig anderen Niveau. Dennoch hatten sie die Freiheit der Entscheidung, wieviel mehr sie von ihre Leben opfern wollten um des gesteigerten Wohlstandes willen oder ab welchem Punkt der Sättigung sie statt dessen lieber ihr Leben behielten. Denn das ist die Ursprungsgröße allen ökonomischen Handelns: die Lebenszeit und Lebensenergie.

Nicht Geld steht im Zentrum menschlichen Handelns. Geld ist nur ein Tauschmittel und Wertspeicher. Was dem Menschen endlich gegeben ist, das ist sein Leben. Dieses endet an einem Tage X, und wer dies nicht in völliger Verblendung außer Acht lässt, muss sich regelmäßig die Frage stellen, was er mit den Tagen vor seinem Tode angefangen hat.

Der kapitalistischen Zwangswirtschaft ist dies egal. Es stört sie mehr als das sie Fragen nach einem menschlich sinnhaften Leben konstruktiv verarbeiten könnte. Das Grundprinzip dieser Wirtschaftsform ist - wie Marx es zutreffend beschrieb - Lebenszeit von Menschen zu kaufen und diese mit maximaler Produktivität einzusetzen. Michael Ende hat in seinem Roman Momo die grauen Herren, die Zeitdiebe, so treffend beschrieben.

Der Verkäufer seiner Lebenszeit, der „Arbeiter“, wird von dem Wert der von ihm erzeugten Produkte getrennt. Der Wert fällt dem Zeitkäufer zu. Das Interesse des Käufers besteht darin, einerseits aus der gekauften Zeit so viel wie möglich zu machen, andererseits so wenig wie möglich dafür zu geben.

Daraus ergibt sich das Paradoxon, wonach der Arbeitgeber wohl möglichst viele Güter oder Dienste auf dem Markt absetzen möchte, seinen Arbeitern aber nicht bereit ist den Lohn zu zahlen, mit dem sie diese Güter oder Dienste kaufen könnten.

Was die gesellschaftliche Klasse der mit akkumuliertem Vermögen umgehenden Personen dann mit ihrem Vermögen anstellt, zielt stets in die gleiche Richtung:

A) Sie versucht weitergehendere Mechanismen der Geldvermehrung zu installieren. Dazu zählt auf staatlicher Ebene die Verschuldung des Staates, der das überschüssige Geld annimmt und über Steuern anschließend die Zinsen für die weitere Vermögensmehrung eintreibt. Dazu zählt aber auch die Verschuldung der Privathaushalte der Arbeiterklasse, die dann nicht nur bei ihrer Entlohnung geschröpft wird, sondern auch noch über ihre Verschuldung. Das Ende vom Lied ist stets, dass immer mehr Güter hergestellt werden könnten, aber immer weniger davon einen Käufer findet. Das nennt man dann „Wirtschaftskrise“. Ein Teil der Investitionen rechnet sich nicht mehr, die Betriebe werden mit enormen Kosten geschlossen, die Produkte und Produktionsanlagen landen in der Schrottpresse oder müssen mit Verlust verkauft werden. Das kapitalistische Ausbeutungssystem knirscht und kracht. Eine „Kreditkrise“ macht sich breit wegen der großen Zahl an Insolvenzen. Und viele Leute verlieren dabei natürlich ihr Geld, das eigentlich Wertdepot sein sollte, aber genauer betrachtet lediglich ein Rückzahlungsversprechen ist im Rahmen eines gegebenen Kredites.

B) Allen kapitalistischen Klassengesellschaften ist als Phänomen eigen, das parallel zur systemimmanent angestrebten Verarmung der Massen, ein überbordender Markt für Luxusartikel besteht. Dieser Markt für Luxusartikel hat die positive Funktion eines entlastenden Ventils, denn über ihn kehrt das den Massen entrissene Geld wieder in den Markt zurück und kann den Zwangsmechanismus, der in die Krise führt, entschärfen. Aber die Konsumfreudigkeit eines jeden Menschen hat natürlich irgendwo ihre Grenzen. Gäbe es diese Grenzen nicht, würde sich ein derart konsumfreudiger Mensch im Rausch der Illusion seiner Unsterblichkeit befinden, dem Irrtum schlechthin, dem man verfällt, wenn alles mit Geld machbar erscheint und „Gott“ oder „Sinn“ keine Rolle mehr spielt. Als Herrscher über Leben und Tod, werden diese Super-Kapitalisten zu Zynikern und testen die Grenzen ihrer Macht, indem sie Völker in Kriege treiben - und dabei gute Geschäfte machen. Auch das gehört zur Normalität des Wirtschaftsmodells dem wir frönen und dem Oppenheimer/Erhard den Kampf angesagt haben.

Die Freiheit der Entscheidung über das Mengenangebot an Lebenszeit, ist dem abhängig Beschäftigten genommen. Und es gibt ein immanentes Interesse des taktischen Gegenspielers, dass stets ein Überangebot auf der Arbeitnehmerseite vorliegt. Enstprechend sind Arbeitgeber mehr als unwillig, Arbeitszeiten den Wünschen ihrer Arbeitnehmer entsprechend zu flexibilisieren. Persönlicher Lebenssinn, Familie, Kinder, der Fortbestand einer Gesellschaft, das alles interessiert die systemkonformen Geldvermehrer nicht. Die häufig vorgeschobenen „organisatorischen“ Gründe gelten selbstverständlich nicht für die Entscheidungsträger selber - um die herum sich alles anpasst - und entsprechen auch nicht der Realität außerhalb. Denn jeder Selbständige vermag sich die für ihn günstigen Zeiten und Mengen durch Absprachen auch seinen Bedürfnissen entsprechend einzurichten. Und wer je selbständig war, weiss diese Freiheit zu genießen. Nicht dass diese Freiheit in Faulheit münden würde. Es ist mehr die Freiheit, stets das machen zu können, was gerade wichtig ist. Und das kann eben auch sein, seinem Kind die Tränen zu trocknen, wenn es gerade hingefallen ist.

Ich möchte das Gesagte knapp zusammenfassen: Wieder einmal ist es das Modell der kapitalistischen Klassenwirtschaft, die in diesem Falle Entscheidungsfreiheiten und vernünftige Verhaltensweisen limitiert. Würde unsere Wirtschaftsordnung nicht in diesem Korsett stecken, würde ein großer Teil der Beschäftigten freiwillig ihren Arbeitseinsatz reduzieren und damit anderen die Möglichkeit eröffnen, an ihrer Stelle die nachgefragten Güter und Dienste auf dem Markt anzubieten. Dabei wäre der freiwillige Teilrückzug aufgrund der erreichten Sättigung keineswegs ein bedauerlicher Zustand, sondern ein Gewinn. Und da die Fachkräfte am Ende ihres Lebens (oder vielleicht gar ab der Mitte) sanft gleitend aus dem Berufsleben ausscheiden könnten, würde erstens ihr Know-How erhalten bleiben und zweitens würden die vorhandenen Kräfte weniger aufgezehrt, so dass ebenfalls eine freiwillige längere berufliche Integration dabei herauskommen könnte.

Es ist nicht gesagt, dass wenn die Wirtschaft dem Menschen zu dienen hätte, dabei schlechteres oder weniger produktives heraus käme als wie wenn die Ausbeutung des Menschen durch die Wirtschaft zur einzig funktionierenden Maxime erhoben wird. Aber es ist vom Modell her gar nicht vorgesehen, das Unternehmen gegründet und geführt würden mit der Intention, Menschen in der Masse ein gutes Leben und hohes Einkommen zu verschaffen.

Als Ludwig Erhard nicht weniger forderte, als das es Ziel eines jeden Unternehmens sein müsse, allen daran Beteiligten ein möglichst hohes Einkommen zu sichern, stand diese Aussage verloren und unverstanden im Raume. Denn genau das Gegenteil fordert die Lehre von der kapitalistischen Klassenwirtschaft. Nach kapitalistischer Lesart ist ökonomische Rationalität nur da gegeben, wo die von den Kapitaleigentümern vereinnahmten Gewinne maximal hoch sind und die Löhne der Arbeiterklasse so gering wie möglich. Doch nur das koordinierte Streben aller nach einem möglichst hohen Einkommen spornt auch alle Kräfte an, das jeweils Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten heraus zu holen. Eine Horror-Vision unter der Rahmenbedingung der kapitalistischen Klassenwirtschaft! Aber doch nur, weil in dieser das stete Streben vorherrscht, die Segnungen des Möglichen in wenigen Händen zu monopolisieren, während die Masse des Volkes von diesem Fortschritt ausgeschlossen bleibt, da sie in ihrer Rolle als Lebenszeitverkäufer eine stets sinkende Nachfrage erfahren und im Konkurrenzdruck gegeneinander sich mit geringen Anteilen der erzeugten Werte begnügen müssen. Explodieren dann über die Solidarität mit den an der Wertschöpfung völlig ausgeschlossenen auch noch die Sozialkosten einer Gesellschaft, können die in ihr lebenden Menschen nur noch einen Weg wählen: nämlich sich zu reduzieren gegen Null, beispielsweise durch Kinderlosigkeit.

Fortschritt und Wohlstand kommen in einer Gesellschaft nur dann zustande, wenn zwei Dinge gleichzeitig auftreten: Es muss das egoistische Eigeninteresse der Investoren zugelassen werden, die nichts anderes im Sinn haben als mit ihren Neuerungen einen Vorteil für sich und damit gegen andere durchzusetzen. Und es muss gleichzeitig die volle Funktionsfähigkeit des Marktes gegeben sein, die den egoistischen Investoren ihren Vorteil wieder entreißt und damit den von ihnen ausgelösten Fortschritt der Allgemeinheit zugute kommen lässt.

Die Verfechter der kapitalistischen Klassenwirtschaft verlangen nur nach der Freiheit für die Investoren, billigen aber ansonsten alles, was den Markt als Gegenspieler des Eigennutzes behindert. Dieses Thema, was die herrschende Klasse dieser kapitalistischen Klassenwirtschaft sich alles einfallen lässt um die Freiheit anderer Marktteilnehmer einzuschränken, wird das folgende Kapitel füllen. In ihm werden wir besprechen, wie in den letzten Jahrzehnten wissentlich und absichtsvoll das Modell einer Sozialen Marktwirtschaft zerstört wurde, mit den jämmerlichen Resultaten, die wir heute wieder in sozialer Hinsicht zu beklagen haben.