T H E M A

Soziale Marktwirtschaft: Dummheit

Der Weg in die Freiheit führt über die Bildung.

Weil ich es nicht besser sagen könnte als es bereits gesagt wurde, zitiere ich nachfolgend einen Text von Dietrich Bonhoeffer.

Leonard Nelson und Franz Oppenheimer waren engste Freunde, persönlich, ethisch, wissenschaftlich. Bonhoeffer gehörte dem Kreis um Nelson zu. Wer sich zu Nelson oder Oppenheimer hingezogen fühlte, trug die Fragen bereits in sich und war ein Suchender. Auf den Schultern von Riesen, so wächst der Schüler über den Lehrer hinaus, weil er des Lehrers Lebensleistung nicht selber vollbringen muss. Er wählt seine Lehrer, damit sie ihm dienen, so wie es eines guten Lehrers Pflicht ist seinen Dank der ihm gegebenen Weisheit zu erweisen, indem er sie weitergibt.

All die eitlen Pfauen, die aus Selbstsucht ehrenträchtige Posten in den Menschenwissenschaften besetzen - dazu zählen die Geisteswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften,, die Wirtschaftswissenschaften und die Medizin - sind vom Quell der Weisheit Ausgeschlossene. Sie verwalten ein totes Wissen ohne Verständnis der inneren Ordnung, die sich nur demjenigen erschließt, der sich mit selbstloser Aufrichtigkeit und dem unbedingten Willen zur Wahrheit einer Sache hinzugeben vermag. Die Liebe zur Wahrheit aber ist ein Dienst, unter Opfern erbracht, und kaum je von persönlichem Vorteil in einem System, das auf Lügen und der Fähigkeit zur strategischen Täuschung baut.

Was die Amerikaner so nett doublespeak nennen, die verschleiernde Wortkosmetik, ist in jedem System Methode, in dem die Herren der Sprachregelungen aus Gründen ihres Machterhaltes die Tatsachen verschleiern wollen. Doublespeak ist eine wirkungsvolle Methode der Intriege. Und wer beherrschte die Intriege besser als die nach Macht strebenden Günstlinge an europäischen Herrschaftshäusern? Machtergreifung durch Täuschung der Mitbewerber führt zur Verblödung der Getäuschten wie auch zur Verblödung der Täuschenden.

Gott ist allwissend und seine Weisheit erschließt sich nur dem, der reinen Herzens ist. In einem kapitalistischen System können nur Außenseiter reinen Herzens sein, denn im Falschen gibt es nichts Wahres. Die Machthaber sind Meister des Taktierens und Täuschens bis hin zur Selbsttäuschung. Das ist unser Fundament, auf dem wir stehen wenn wir unsere heutige (Un-)Ordnung betrachten.

Dietrich Bonhoeffer: Von der Dummheit
Quelle: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von E. Bethge. TB Siebenstern. Gütersloh 1985. S. 14 f.

Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.

Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt.

Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden - in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch - und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden.

Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich.

Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist. Es gibt intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind. Diese Entdeckung machen wir zu unserer Überraschung anläßlich bestimmter Situationen. Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener Defekt ist, als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen. Wir beobachten weiterhin, daß abgeschlossen und einsam lebende Menschen diesen Defekt seltener zeigen als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und Menschengruppen.

So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz.

Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei nicht der, daß bestimmte - also etwa intellektuelle - Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun - mehr oder weniger unbewußt - darauf verzichtet, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden.

Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können. Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte.

Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen, zu wissen, was »das Volk« eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist - immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei (Psalm 111, 10), sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.

Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen.