T H E M A

Soziale Marktwirtschaft: Franz Oppenheimer

Franz Oppenheimer

Ludwig Erhard war ein Mann der Tat. Leute, die ihn nicht verstanden, meinten, er habe mit seinen Entscheidungen halt „Glück“ gehabt. Bald sprach man von einem „Wunder“. Doch wurde Erhard nicht müde zu betonen, dass alle seine Erfolge nichts mit einem „Wunder“ zu tun hätten, sondern auf einer gesicherten, wissenschaftlichen Theorie beruhten. Und er nannte den Namen desjenigen, von dem diese Theorie stammte: seinen Lehrer und Doktorvater Professor Franz Oppenheimer, dem einzigen Volkswirt, bei dem Erhard je studiert hatte.

Erhard wusste gar nichts von der „Wissenschaft“ der Blender, die Oppenheimer zutiefst verachtete, so wie die Apologeten der kapitalistischen Klassengesellschaft bis heute nichts wissen von Oppenheimer, der mit ihrer Weltsicht nicht vereinbar ist.

Oppenheimer war ein überzeugter Sozialist. Allerdings keiner von der Sorte, die ihr Heil wie Marx im Staatssozialismus gesucht haben. Für ihn war die Freiheit des Individuums viel zu wertvoll, als dass er sie den Reglements eines überbordenden Beamtenapparates unterwerfen wollte.

Oppenheimer suchte nach einer freiheitlichen Ordnung, die er „Liberalen Sozialismus“ nannte. Aus diesem Begriff machte Erhard aus Rücksichtnahme gegenüber seinen Parteifeinden einen „sozialen Liberalismus“, meinte aber wie Oppenheimer, dass am Ende der von ihm angestoßenen Entwicklung eine Gesellschaft der „Freien und Gleichen“ stünde, in der die Ungleichheit so weit reduziert wurde, wie Menschen in ihrer Leistungskraft natürlich ungleich sind.

Das heißt, der eine mag dem anderen fünffach oder zehnfach überlegen sein und entsprechend seiner Überlegenheit ein zehnfach höheres Einkommen erzielen. Aber was heute üblich ist, das manche das Zehntausendfache des Einkommens von anderen beziehen, wäre in einem entwickelten „liberalen Sozialismus“ als Phänomen vollkommen verschwunden, weil es die Quellen, aus denen solche Einkommen geschöpft werden, nicht mehr gäbe. Diese Quellen würden mit den Jahren abschmelzen wie Eisberge in der Sonne. Und damit dies alles geschieht, braucht man keine Revolution und keinen Staatsapparat, sondern muss lediglich der „richtig verstandenen Freiheit“ zu ihrem Recht verhelfen.

Die gemeinte Freiheit richtig zu verstehen, ist freilich eine Kunst für sich. Denn unter „Freiheit“ verstand manch ein Großgrundbesitzer früher beispielsweise, dass er seinem Leibeigenen gegebenenfalls auch den Bauch aufschlitzen dürfe, um sich seine Füße in dessen Eingeweiden zu wärmen. Es ist also vom Grundsatz her eine völlig falsche Vorstellung von Freiheit, wenn diese nach der Verfügungsgewalt des einen über den anderen verlangt. Die „Freiheit“ des Herrschenden über den Untertan ist allenfalls eine Handlungsfreiheit in einem gerechtigkeitsfreien Raum, nicht hingegen kennzeichnend für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung.

Dieses Thema „Freiheit“ ist schwierig zu entwirren dadurch, dass die Herrschenden ihre Pivilegien mit Macht verteidigen und diese Privilegien ebenfalls „Freiheiten“ nennen. Im übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhang, den wir hier nicht ausleuchten müssen, kommt es, wenn wir von einer „freiheitlichen Gesellschaftsordnung“ sprechen, auf das ethische Fundament an. Und dieses Fundament steht nur dort felsenfest, wo der kategorische Imperativ Kants die Leitschnur ist.

Im rein wirtschaftlichen Zusammenhang liegen die Dinge zum Glück weniger kompliziert. Freiheit lässt sich hier vereinfacht darstellen als „Wahlfreiheit“ und „Freiwilligkeit“ derjenigen, die mit ihren Bedürfnissen und Produkten an den Markt heran treten.

„Freiheit“ und „Gleichheit“ - so begann Franz Oppenheimer alle seine Bücher - wären nach Auffassung der herrschenden Wissenschaft miteinander unvereinbar. Entweder gäbe es „Gleichheit“, dann müsse - wie es die Staatssozialisten predigen - die Freiheit eben weichen. Oder es gäbe „Freiheit“ - wie es das bürgerliche Gegenlager predigt - dann muss die Gleichheit eben zurückstehen. Und dieses entweder-oder ist nach Oppenheimers Überzeugung falsch. Ohne Freiheit keine Gleichheit und ohne Gleichheit keine Freiheit. Beides gehört zusammen. Freiheit und Gleichheit ist das Ziel.

Verlassen wir nun die Ebene des Wollens. Wohin die Reise geht und was Sie erwartet, wenn wir angekommen sind, haben wir erläutert. Jetzt brauchen wir das andere theoretische Fundament, auf dem dies alles gedeiht.